1. Die Anfänge: Fürsorge für
benachteiligte Junge Menschen
2. Kriege und Diktaturen: Existenzielle Sorgen und
konzeptionelle Umorientierung
3. Die Zeit nach der politischen Wende:
Neuorientierung und Ausweitung der Leistungen
4. Die Zukunft: Weitere Differenzierung der Angebote
5.
90 Jahre Betreuung und
Begleitung von behinderten und benachteiligten Menschen:
Anlaß, Dank zu sagen
6.
Geschichtlicher Rückblick auf 90 Jahre
7.
Leitende Personen seit der Gründung
Die Anfänge:
Fürsorge für benachteiligte Junge Menschen
Die industrielle Entwicklung und die schwierige wirtschaftliche Situation in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts änderten die soziale Struktur in Deutschland grundlegend: Landwirtschaftlich geprägte Großfamilien lösten sich unter den Bedingungen zunehmender Verstädterung allmählich auf, viele Familien waren in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Die soziale; Verelendung und Verwahrlosung von Kindern war ein zunehmendes Problem der sich entwickelnden Industriegesellschaft. Viele Kinder und Jugendliche erhielten nicht die Obhut und Zuwendung, die sie bedurften und drohten zu verwahrlosen. Pädagogische Institutionen standen vor neuen Herausforderungen, auf die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu reagieren. Durch den preußischen Staat wurde 1878 das Gesetz ,,Zwangserziehung verwahrloster Minderjähriger“ erlassen. In dieser Zeit engagierten sich aus sozialen Motiven heraus mehrere gesellschaftliche Gruppen, mit dem Ziel, verwahrloste Kinder und Jugendliche moralisch und sittlich in die Gesellschaft zu integrieren. In dieser Zeit wurden in verschiedenen Provinzen katholische Erziehungsvereine gegründet, so auch im Ostteil der Diözese Paderborn, zu dem in jener Zeit das Eichsfeld gehörte. Dieser katholische Erziehungsverein e. V. mit Sitz in Heiligenstadt bemühte sich seit 1894, ein katholisches Heim einzurichten, in dem aus christlichem Geist heraus der Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen entgegen gewirkt werden konnte. Im Jahr 1913 wurden die Bemühungen so konkret, daß in Heiligenstadt "Auf der Rinne" ein Grundstück erworben und mit dem Bau des Hauses begonnen werden konnte.
In der Chronik des Raphaelsheimes finden wir folgenden Eintrag: ,,Im Mai 1913 begann der Bau, am 13. April 1914 erfolgte die kirchliche Weihe durch den Bischöflichen Kommissarius Prälat Osburg zu Heiligenstadt und am 20. April 1914 die Eröffnung unter dem Namen ,,St. Raphaelshaus, Katholisches Erziehungsheim“. Zum Leiter berief die Bischöfliche Behörde Herrn Kaplan Franz Schröter an der St. Aegidienkirche zu Heiligenstadt.“ Am selben Tag zogen 25 Knaben und 13 Mädchen als Zöglinge in das neue Heim ein. Im April 2004 jährt sich diese Einweihung zum 90. Mal. 90 Jahre Raphaelsheim sind geprägt von der Sorge für Menschen, die nicht im Mittelpunkt der Gesellschaft, sondern am Rand standen, die in der persönlichen Entwicklung oder durch eine Behinderung benachteiligt waren oder sind.
nach obenKriege
und Diktaturen:
Existenzielle Sorgen und konzeptionelle Umorientierung
Diese 90 Jahre waren aber auch geprägt von den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts sowie den nationalsozialistischen und sozialistischen Diktaturen in Deutschland. Sorgen und Ängste um Gesundheit und Leben der Menschen in der Einrichtung, aber auch um den Bestand der Einrichtung prägten viele Jahre die Geschichte des Hauses. Das Heim wurde am Ende des 2 Weltkrieges als Verteidigungsstützpunkt und später, in der Zeit des Sozialismus, als Standort für Armee und Grenztruppen verplant. Engagierten Männern und Frauen von Caritas und Ortskirche sowie den verantwortlichen Direktoren des Heimes ist es zu verdanken, daß ein solches Schicksal abgewendet werden konnte. So ist das Haus stets ein Ort für schwache und benachteiligte Menschen unserer Gesellschaft geblieben und fiel niemals gänzlich der Gewalt- und Willkürherrschaft zum Opfer.
Bis in die Jahre 1961/1962 richtete sich das Bemühen der Mitarbeiter der Einrichtung auf junge Menschen, von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter und danach auf Menschen mit Behinderung der verschiedensten Art, denen hier Geborgenheit und Schutz geboten wurde und wird. Jeder, der hier Aufnahme fand, wurde und wird auf seinem Lebensweg begleitet und wird angenommen, so wie er ist. Möglichkeiten, die eigenen individuellen Fähigkeiten zu entwickeln und ein sinnstiftendes Leben zu gestalten, waren für die Menschen, die dem Raphaelsheim anvertraut werden, immer vorhanden.
nach obenDie Zeit nach der politischen
Wende:
Neuorientierung und Ausweitung der Leistungen
Mit der deutschen Einheit wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, daß das
Raphaelsheim eine außerordentliche Entwicklung nehmen konnte und so zu einem
anerkannten Netzwerk für Wohnangebote im angemessenen Lebensraum sowie im
Weiteren für berufliche Bildung und Eingliederung ausgebaut werden konnte. Die
Verantwortungsträger der Einrichtung haben dabei durch hohes Engagement und
fachliche Kompetenz ein modernes breites Leistungsspektrum geschaffen, mit dem
es möglich ist, auf viele verschiedene individuelle Bedürfnisse eine passende
Antwort zu geben. Ob im Wohnheim oder dem betreuten Wohnen, ob in der Werkstatt
oder der Tagesstätte:
Die verschiedenen Formen des Wohnens, des Arbeitens und der Freizeitgestaltung
verstehen wir als Brücke für behinderte und benachteiligte Menschen auf dem
Weg in die Selbständigkeit und zur selbstbestimmten Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben.
Die Zukunft: Weitere Differenzierung der Angebote
Die Weichen in die Zukunft sind gestellt: Die verschiedenen Einrichtungen und Dienste sind inzwischen in einem Holdingverein integriert. Durch enges Zusammenwirken von Mitarbeitern verschiedener Professionen und unterschiedlicher Einrichtungstypen bieten wir dem behinderten Menschen Hilfen an, die er benötigt, um sein Leben selbstbestimmt zu gestalten und so angemessen am Leben in der Gesellschaft teilhaben kann. Unserem Leitbild folgend, ist der Hilfebedarf des einzelnen Menschen der Maßstab, an dem wir unsere Leistungen ausrichten. Durch unser Qualitätsmanagement, das in allen Einrichtungen eingeführt wurde, haben wir uns verpflichtet, unsere Dienstleistungen ständig zu verbessern. So werden die Hilfen in Zukunft in einem noch höheren Maß personenzentriert und bedarfsgerecht ausgerichtet sein.
Damit werden unsere sozialen Dienstleistungen am Menschen weiter ausdifferenziert werden. Da wir unsere Einrichtungen als Orte des Lernens verstehen (nicht nur für die uns anvertrauten Menschen), nehmen wir diese Herausforderungen gern an.
nach oben90 Jahre Betreuung und Begleitung von behinderten und benachteiligten Menschen: Anlaß, Dank zu sagen
Am 22. April 2004 begehen wir die Gründung des Raphaelsheimes feierlich. Wir wollen den Anlaß nutzen, Dank zu sagen für eine 90-jährige Entwicklung und Sorge für bedürftige Menschen in unserer Gesellschaft und für die segensreiche Tätigkeit der Einrichtung für die gesamte Region. Wir wollen der Menschen gedenken, die in diesen Häusern wohnen und wohnten, aber auch all derer, die hier ihre Arbeit verrichteten und verrichten und den guten Ruf des Hauses begründen. Besonderer Dank gebührt den Priestern und zahlreichen Ordensschwestern, die oft in christlicher Nächstenliebe ihren seelsorgerischen Dienst taten und tun. Und wir wollen Gott dem Herrn danken, daß er stets seine schützenden Hände über das Haus gehalten hat.
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Geschichtlicher Rückblick
auf 90 Jahre
1894 | Gründung des "Katholischen Erziehungsvereins e.V." in Heiligenstadt; Ziel: Einrichtung eines katholischen Erziehungsheimes für den Ostteil der Diözese Paderborn, in dem der Verwahrlosung von Jugendlichen entgegen gewirkt werden sollte |
Mai 1913 | Baubeginn auf einem zuvor erworbenen Grundstück ,,Auf der Rinne“ in Heiligenstadt unter Pfarrer Heinrich Hartmann (1866-1925), langjähriger Vorsitzender des "Katholischen Erziehungsvereins e.V." |
April 1914 | kirchliche Weihe des Neubaus durch den Bischöflichen Kommissarius Prälat
Hermann Osburg und Eröffnung unter dem Namen "St. Raphaelshaus,
Katholisches Erziehungsheim" Aufnahme von 25 Knaben und 13 Mädchen Direktor des Heimes wird Prälat Franz Schröter (1882- 1948) |
1914 bis 1961 | Betreuung, Erziehung und schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen, die nicht in einer Familie aufwachsen konnten |
Dezember 1948 | Übernahme der Heimleitung durch Pfarrer Ernst Hildebrandt (1909 1958) |
10.12.1948 | Übereignung des gesamten Vermögens des
"Katholischen
Erziehungsvereins e.V." an den Gesamtverband der katholischen
Kirchengemeinden in Heiligenstadt; Ziel: Schutz der Einrichtung vor dem Zugriff kommunistisch-staatlicher Behörden |
12.06.1950 | Auflösung des "Katholischen Erziehungsvereins e.V." (auf eigenen Beschluß der Mitgliederversammlung) |
Mai 1958 | Übernahme der Heimleitung durch Monsignore Josef Kesting (geb. 1927) |
Juli 1961 | Auflösung der Heimschule durch staatliche Verfügung; massive Proteste der Einrichtungsleitung und des Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen: Die Kinder blieben zunächst im Heim wohnen, besuchten aber nun die staatlichen Schulen in Heiligenstadt. |
1961 | Einrichtung von Haushaltskursen für junge Frauen (bis in die 70er Jahre) |
November 1961 | erste Aufnahme von geistig behinderten Menschen |
Dezember 1962 | konzeptionelle Umorientierung des Heimes auf die Betreuung von sog. "schulbildungsunfähigen" Kindern und Jugendlichen; Aufnahme von 60 behinderten Menschen |
1963 | zwangsweise Räumung des Heimes innerhalb kürzester Zeit: Sämtliche Schulkinder wurden in ihre Heimatkreise umgesiedelt; massiver Protest von Weihbischof Dr. Josef Freusberg |
1970 | Bau des "Haus Gabriel" als Wohnung für Mitarbeiter 1978 Bau des "Bischof-Aufderbeck-Hauses" zur Einrichtung von arbeitstherapeutisch genutzten Räumlichkeiten: Verrichtung von Auftragsarbeiten für die Industrie von behinderten Menschen |
1985 | Erweiterungsbau am ,,Haus Raphael“ mit Treppenhaus als zusätzlicher Fluchtweg |
1990 | Neuorientierung des Hauses wird durch gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und rechtliche Änderungen infolge der Wiedervereinigung Deutschlands notwendig |
1991 |
Gründung des Vereins "Eichsfelder Werkstätten eV."; dadurch
Zusammenführung der ehemals staatlichen Kreisrehabilitationsstelle des
Gesundheitswesens
("Werkstatt für Behinderte Heiligenstadt e.V.“) und der Werkstatt für
Behinderte des Raphaelsheimes; Ziel: Neubau einer Werkstatt für Behinderte |
Verwaltungsleiter (ab 1995 Geschäftsführer) des Heimes und der Werkstatt wird Herr Dipl-Ing. Erhard Monecke (geb. 1945) | |
1991-1993 |
Durch rasche Entwicklung einer Konzeption und sofortiger Verfügbarkeit
von Bauland kann als erster Neubau in den neuen Bundesländern mit der
Errichtung der We rkstatt für behinderte Menschen begonnen werden; Einweihung
des Werkstattneubaus "Auf der Rinne" am 22.10.1993 durch Bischof Dr.
Joachim Wanke Angliederung des Raphaelsheimes an die Werkstatt für Behinderte |
01.01.1995 | Die wirtschaftlich Entwicklung und Ausweitung des Leistungsangebotes sowie der Organisationsstrukturen erfordern neue Rechtsstrukturen: Die ,,Raphaelsheim gGmbH“ wird gegründet, Ein Aufsichtsrat übernimmt die Verantwortung für die weiteren Rechtsgeschäfte der Einrichtung. 1995/1996 Übernahme der Wohnheime ,,Kloster Beuren“ und ,,Bonifatiusstift Neustadt“ in die Raphaelsheim gGmbH |
27.09.1996 | Einweihung des neu erbauten ,,Haus Michael“ durch Bischof Dr. Joachim Wanke; schrittweise Ausbau und Verbesserung der Wohnbedingungen |
01.05.1998 | Einweihung der neu erbauten Mariengrotte durch Propst Heinz-Josef Durstewitz |
1998/1999 | Erweiterung der Leistungspalette um das ,,Ambulant Betreute Wohnen“ |
1999 |
grundhafte Sanierung des Objektes ,,Haus Teresa“ in der Bahnhofstraße
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(Einweihung
am 12.10.1999 durch Propst Heinz-Josef Durstewitz und Diözesancaritasdirektor
Bruno Heller); konzeptionelle Ausrichtung auf die Betreuung von psychisch behinderten Menschen in den Lebensbereichen Wohnen, Tagesstrukturierung und Arbeit grundhafte Sanierung des Westflügels inklusive der Kapelle und der Zentralküche im ,,Haus Raphael“ |
01.01.2001 |
Umstrukturierung des Vereins ,,Eichsfelder Werkstätten e.V.“ zur Holding für
die ,,Raphaelsheim gGmbH“‘
für die Werkstatt für behinderte Menschen“ und für die ,,Seniorenwohnen
Regina gGmbH“; Ziel: Nutzung von Synergieeffekten zwischen den einzelnen Einrichtungen |
29.09.2002 | Einweihung des Erweiterungsbaus der Werkstatt durch Bischof Dr. Joachim Wanke |
2002/2003 | Umfangreiche Umbau- und Sanierungsarbeiten am ,,Haus Raphael“ (Einweihung am 29.09.2003 durch Weihbischof Hans-Reinhard Koch) und am Bonifatiusstift Neustadt“ (Einweihung am 07.03.2003 durch Propst Heinz-Josef Durstewitz und Diözesancaritasdirektor Bruno Heller) |
1995-2004 | Denkmalgerechte Sanierung des Wohnheims ,,Kloster Beuren“ auf konzeptioneller Basis |
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Leitende Personen
seit der Gründung
geboren | gestorben | Priesterweihe | |
Pfarrer Heinrich Hartmann | 08.10.1866 | 26.12.1925 | 06.03.1891 |
- Er ist der Gründer des Raphaelsheimes
und - langjähriger Vorsitzender des Kath. Erziehungsvereins e. V. von 1902-1914 - Erbauer des St. Raphaelshauses von 1913/1914 |
|||
Prälat Franz Schroter | Dingelstädt 25.09.1882 |
06.12.1948 | 22.03.1907 |
Direktor des Raphaelsheimes von 23.03.1914 bis 06.12.1948 | |||
Pfarrer Ernst Hildebrand | Lengenfeld u. Stein 10.08.1909 |
05.04.1958 | 02.12.1934 |
- Direktor des Raphaelsheimes von Dez. 1948-1958 - ab März 1935 Vikar im Raphaeleheim |
|||
Monsignore Josef Kesting |
Beuren 09.04.1927 |
21.03.1953 | |
Direktor des Raphaelsheimes seit 01.05.1958 |
Sr. Ferdinanda Rotering | 1913-1921 |
St. Julitta Funke | 1921-1951 |
Sr. M. Augustine Schulmeister | 1951-1958 |
St. M. Florentine Müller | 28.08.1958-26.10.1963 |
Sr. Nikole Busse | 27.10.1963-24.06.1967 |
Sr. Irmtrud Huppertz | 01.09.1967-25.11.1980 |
Sr. Aurea Schwarz | 20.02.1981-06.03.1989 |
Sr. Hedwig Klein | 06.03.1989-05.07.1998 |
Sr. Maria Gabriele Rascopp | 08.07.1998 |
bis 31.12.1949 | Kath. Erziehungsverein Heiligenstadt |
01.01.1950-31.12.2000 | Gesamtverband der katholischen Kirchengemeinden in Heiligenstadt |
seit 01.01.2001 | Raphaelsheim gGmbH: Alleingesellschafter Verein Eichsfelder Werkstätten e. V. |
Auszug aus dem
Heiligenstadt-Anzeiger, Jahrgang 14, Nummer 07
vom 08. April 2004
erstellt: E. Monecke