Festschrift 1914 bis 2004

90 Jahre Raphaelsheim Heiligenstadt - 90 Jahre Arbeit mit Menschen

Wählen Sie aus:

1. Die Anfänge: Fürsorge für benachteiligte Junge Menschen
2. Kriege und Diktaturen: Existenzielle Sorgen und konzeptionelle Umorientierung
3. Die Zeit nach der politischen Wende: Neuorientierung und Ausweitung der Leistungen
4. Die Zukunft: Weitere Differenzierung der Angebote
5. 90 Jahre Betreuung und Begleitung von behinderten und benachteiligten Menschen: Anlaß, Dank zu sagen
6. Geschichtlicher Rückblick auf 90 Jahre
7. Leitende Personen seit der Gründung

Die Anfänge:
Fürsorge für benachteiligte Junge Menschen

Die industrielle Entwicklung und die schwierige wirtschaftliche Situation in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts änderten die soziale Struktur in Deutschland grundlegend: Landwirtschaftlich geprägte Großfamilien lösten sich unter den Bedingungen zunehmender Verstädterung allmählich auf, viele Familien waren in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Die soziale; Verelendung und Verwahrlosung von Kindern war ein zunehmendes Problem der sich entwickelnden Industriegesellschaft. Viele Kinder und Jugendliche erhielten nicht die Obhut und Zuwendung, die sie bedurften und drohten zu verwahrlosen. Pädagogische Institutionen standen vor neuen Herausforderungen, auf die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu reagieren. Durch den preußischen Staat wurde 1878 das Gesetz ,,Zwangserziehung verwahrloster Minderjähriger“ erlassen. In dieser Zeit engagierten sich aus sozialen Motiven heraus mehrere gesellschaftliche Gruppen, mit dem Ziel, verwahrloste Kinder und Jugendliche moralisch und sittlich in die Gesellschaft zu integrieren. In dieser Zeit wurden in verschiedenen Provinzen katholische Erziehungsvereine gegründet, so auch im Ostteil der Diözese Paderborn, zu dem in jener Zeit das Eichsfeld gehörte. Dieser katholische Erziehungsverein e. V. mit Sitz in Heiligenstadt bemühte sich seit 1894, ein katholisches Heim einzurichten, in dem aus christlichem Geist heraus der Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen entgegen gewirkt werden konnte. Im Jahr 1913 wurden die Bemühungen so konkret, daß in Heiligenstadt "Auf der Rinne" ein Grundstück erworben und mit dem Bau des Hauses begonnen werden konnte.

In der Chronik des Raphaelsheimes finden wir folgenden Eintrag: ,,Im Mai 1913 begann der Bau, am 13. April 1914 erfolgte die kirchliche Weihe durch den Bischöflichen Kommissarius Prälat Osburg zu Heiligenstadt und am 20. April 1914 die Eröffnung unter dem Namen ,,St. Raphaelshaus, Katholisches Erziehungsheim“. Zum Leiter berief die Bischöfliche Behörde Herrn Kaplan Franz Schröter an der St. Aegidienkirche zu Heiligenstadt.“ Am selben Tag zogen 25 Knaben und 13 Mädchen als Zöglinge in das neue Heim ein. Im April 2004 jährt sich diese Einweihung zum 90. Mal. 90 Jahre Raphaelsheim sind geprägt von der Sorge für Menschen, die nicht im Mittelpunkt der Gesellschaft, sondern am Rand standen, die in der persönlichen Entwicklung oder durch eine Behinderung benachteiligt waren oder sind.

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Kriege und Diktaturen:
Existenzielle Sorgen und konzeptionelle Umorientierung

Diese 90 Jahre waren aber auch geprägt von den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts sowie den nationalsozialistischen und sozialistischen Diktaturen in Deutschland. Sorgen und Ängste um Gesundheit und Leben der Menschen in der Einrichtung, aber auch um den Bestand der Einrichtung prägten viele Jahre die Geschichte des Hauses. Das Heim wurde am Ende des 2 Weltkrieges als Verteidigungsstützpunkt und später, in der Zeit des Sozialismus, als Standort für Armee und Grenztruppen verplant. Engagierten Männern und Frauen von Caritas und Ortskirche sowie den verantwortlichen Direktoren des Heimes ist es zu verdanken, daß ein solches Schicksal abgewendet werden konnte. So ist das Haus stets ein Ort für schwache und benachteiligte Menschen unserer Gesellschaft geblieben und fiel niemals gänzlich der Gewalt- und Willkürherrschaft zum Opfer.

Bis in die Jahre 1961/1962 richtete sich das Bemühen der Mitarbeiter der Einrichtung auf junge Menschen, von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter und danach auf Menschen mit Behinderung der verschiedensten Art, denen hier Geborgenheit und Schutz geboten wurde und wird. Jeder, der hier Aufnahme fand, wurde und wird auf seinem Lebensweg begleitet und wird angenommen, so wie er ist. Möglichkeiten, die eigenen individuellen Fähigkeiten zu entwickeln und ein sinnstiftendes Leben zu gestalten, waren für die Menschen, die dem Raphaelsheim anvertraut werden, immer vorhanden.

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Die Zeit nach der politischen Wende:
Neuorientierung und Ausweitung der Leistungen

Mit der deutschen Einheit wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, daß das Raphaelsheim eine außerordentliche Entwicklung nehmen konnte und so zu einem anerkannten Netzwerk für Wohnangebote im angemessenen Lebensraum sowie im Weiteren für berufliche Bildung und Eingliederung ausgebaut werden konnte. Die Verantwortungsträger der Einrichtung haben dabei durch hohes Engagement und fachliche Kompetenz ein modernes breites Leistungsspektrum geschaffen, mit dem es möglich ist, auf viele verschiedene individuelle Bedürfnisse eine passende Antwort zu geben. Ob im Wohnheim oder dem betreuten Wohnen, ob in der Werkstatt oder der Tagesstätte:
Die verschiedenen Formen des Wohnens, des Arbeitens und der Freizeitgestaltung verstehen wir als Brücke für behinderte und benachteiligte Menschen auf dem Weg in die Selbständigkeit und zur selbstbestimmten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

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Die Zukunft: Weitere Differenzierung der Angebote

Die Weichen in die Zukunft sind gestellt: Die verschiedenen Einrichtungen und Dienste sind inzwischen in einem Holdingverein integriert. Durch enges Zusammenwirken von Mitarbeitern verschiedener Professionen und unterschiedlicher Einrichtungstypen bieten wir dem behinderten Menschen Hilfen an, die er benötigt, um sein Leben selbstbestimmt zu gestalten und so angemessen am Leben in der Gesellschaft teilhaben kann. Unserem Leitbild folgend, ist der Hilfebedarf des einzelnen Menschen der Maßstab, an dem wir unsere Leistungen ausrichten. Durch unser Qualitätsmanagement, das in allen Einrichtungen eingeführt wurde, haben wir uns verpflichtet, unsere Dienstleistungen ständig zu verbessern. So werden die Hilfen in Zukunft in einem noch höheren Maß personenzentriert und bedarfsgerecht ausgerichtet sein.

Damit werden unsere sozialen Dienstleistungen am Menschen weiter ausdifferenziert werden. Da wir unsere Einrichtungen als Orte des Lernens verstehen (nicht nur für die uns anvertrauten Menschen), nehmen wir diese Herausforderungen gern an.

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90 Jahre Betreuung und Begleitung von behinderten und benachteiligten Menschen: Anlaß, Dank zu sagen

Am 22. April 2004 begehen wir die Gründung des Raphaelsheimes feierlich. Wir wollen den Anlaß nutzen, Dank zu sagen für eine 90-jährige Entwicklung und Sorge für bedürftige Menschen in unserer Gesellschaft und für die segensreiche Tätigkeit der Einrichtung für die gesamte Region. Wir wollen der Menschen gedenken, die in diesen Häusern wohnen und wohnten, aber auch all derer, die hier ihre Arbeit verrichteten und verrichten und den guten Ruf des Hauses begründen. Besonderer Dank gebührt den Priestern und zahlreichen Ordensschwestern, die oft in christlicher Nächstenliebe ihren seelsorgerischen Dienst taten und tun. Und wir wollen Gott dem Herrn danken, daß er stets seine schützenden Hände über das Haus gehalten hat.

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Geschichtlicher Rückblick auf 90 Jahre

1894 Gründung des "Katholischen Erziehungsvereins e.V." in Heiligenstadt; Ziel: Einrichtung eines ka­tholischen Erziehungsheimes für den Ostteil der Diözese Paderborn, in dem der Verwahrlosung von Jugendlichen entgegen gewirkt werden sollte
Mai 1913 Baubeginn auf einem zuvor erworbenen Grund­stück ,,Auf der Rinne“ in Heiligenstadt unter Pfarrer Heinrich Hartmann (1866-1925), langjähriger Vorsitzender des "Katholischen Erziehungsver­eins e.V."
April 1914 kirchliche Weihe des Neubaus durch den Bischöflichen Kommissarius Prälat Hermann Osburg und Eröffnung unter dem Namen "St. Raphaelshaus, Katholisches Erziehungsheim"
Aufnahme von 25 Knaben und 13 Mädchen
Direktor des Heimes wird Prälat Franz Schröter (1882- 1948)
1914 bis 1961 Betreuung, Erziehung und schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen, die nicht in einer Familie aufwachsen konnten
Dezember 1948 Übernahme der Heimleitung durch Pfarrer Ernst Hildebrandt (1909 1958)
10.12.1948 Übereignung des gesamten Vermögens des "Katholischen Erziehungsvereins e.V." an den Gesamtverband der katholischen Kirchengemeinden in Heiligenstadt;
Ziel: Schutz der Einrichtung vor dem Zugriff kommunistisch-staatlicher Behörden
12.06.1950  Auflösung des "Katholischen Erziehungsvereins e.V." (auf eigenen Beschluß der Mitgliederver­sammlung) 
Mai 1958 Übernahme der Heimleitung durch Monsignore Josef Kesting (geb. 1927)
Juli 1961 Auflösung der Heimschule durch staatliche Verfügung; massive Proteste der Einrichtungsleitung und des Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen: Die Kinder blieben zunächst im Heim wohnen, besuchten aber nun die staatlichen Schulen in Heiligenstadt.
1961 Einrichtung von Haushaltskursen für junge Frau­en (bis in die 70er Jahre)
November 1961 erste Aufnahme von geistig behinderten Menschen
Dezember 1962  konzeptionelle Umorientierung des Heimes auf die Betreuung von sog. "schulbildungsunfähigen" Kindern und Jugendlichen; Aufnahme von 60 be­hinderten Menschen 
1963 zwangsweise Räumung des Heimes innerhalb kürzester Zeit: Sämtliche Schulkinder wurden in ihre Heimatkreise umgesiedelt; massiver Protest von Weihbischof Dr. Josef Freusberg 
1970 Bau des "Haus Gabriel" als Wohnung für Mitarbeiter 1978 Bau des "Bischof-Aufderbeck-Hauses" zur Einrichtung von arbeitstherapeutisch genutzten Räumlichkeiten: Verrichtung von Auftragsarbeiten für die Industrie von behinderten Menschen
1985 Erweiterungsbau am ,,Haus Raphael“ mit Treppenhaus als zusätzlicher Fluchtweg
1990 Neuorientierung des Hauses wird durch gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und rechtliche Änderungen infolge der Wiedervereinigung Deutschlands notwendig
1991 Gründung des Vereins "Eichsfelder Werkstätten eV."; dadurch Zusammenführung der ehemals staatlichen Kreisrehabilitationsstelle des Gesundheitswesens ("Werkstatt für Behinderte Heiligenstadt e.V.“) und der Werkstatt für Behinderte des Raphaelsheimes;
Ziel: Neubau einer Werkstatt für Behinderte
  Verwaltungsleiter (ab 1995 Geschäftsführer) des Heimes und der Werkstatt wird Herr Dipl-Ing. Er­hard Monecke (geb. 1945)
1991-1993 Durch rasche Entwicklung einer Konzeption und sofortiger Verfügbarkeit von Bauland kann als erster Neubau in den neuen Bundesländern mit der Errichtung der We rkstatt für behinderte Menschen begonnen werden; Einweihung des Werkstattneubaus "Auf der Rinne" am 22.10.1993 durch Bischof Dr. Joachim Wanke 
Angliederung des Raphaelsheimes an die Werkstatt für Behinderte
01.01.1995 Die wirtschaftlich Entwicklung und Ausweitung des Leistungsangebotes sowie der Organisationsstrukturen erfordern neue Rechtsstrukturen: Die ,,Raphaelsheim gGmbH“ wird gegründet, Ein Aufsichtsrat übernimmt die Verantwortung für die weiteren Rechtsgeschäfte der Einrichtung. 1995/1996 Übernahme der Wohnheime ,,Kloster Beuren“ und ,,Bonifatiusstift Neustadt“ in die Raphaelsheim gGmbH
27.09.1996 Einweihung des neu erbauten ,,Haus Michael“ durch Bischof Dr. Joachim Wanke; schrittweise Ausbau und Verbesserung der Wohnbedingungen
01.05.1998 Einweihung der neu erbauten Mariengrotte durch Propst Heinz-Josef Durstewitz
1998/1999 Erweiterung der Leistungspalette um das ,,Ambulant Betreute Wohnen“
1999 grundhafte Sanierung des Objektes ,,Haus Teresa“ in der Bahnhofstraße 4 (Einweihung am 12.10.1999 durch Propst Heinz-Josef Durstewitz und Diözesancaritasdirektor Bruno Heller); 
konzeptionelle Ausrichtung auf die Betreuung von psychisch behinderten Menschen in den Lebensbereichen Wohnen, Tagesstrukturierung und Arbeit 
grundhafte Sanierung des Westflügels inklusive der Kapelle und der Zentralküche im ,,Haus Raphael“
01.01.2001 Umstrukturierung des Vereins ,,Eichsfelder Werkstätten e.V.“ zur Holding für die ,,Raphaelsheim gGmbH“‘ für die Werkstatt für behinderte Menschen“ und für die ,,Seniorenwohnen Regina gGmbH“;
Ziel: Nutzung von Synergieeffekten zwischen den einzelnen Einrichtungen
29.09.2002 Einweihung des Erweiterungsbaus der Werkstatt durch Bischof Dr. Joachim Wanke
2002/2003 Umfangreiche Umbau- und Sanierungsarbeiten am ,,Haus Raphael“ (Einweihung am 29.09.2003 durch Weihbischof Hans-Reinhard Koch) und am Bonifatiusstift Neustadt“ (Einweihung am 07.03.2003 durch Propst Heinz-Josef Durstewitz und Diözesancaritasdirektor Bruno Heller)
1995-2004 Denkmalgerechte Sanierung des Wohnheims ,,Kloster Beuren“ auf konzeptioneller Basis

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Leitende Personen seit der Gründung

Verantwortliche Leitung: im Raphaelsheim

  geboren gestorben Priesterweihe
Pfarrer Heinrich Hartmann 08.10.1866 26.12.1925 06.03.1891
  - Er ist der Gründer des Raphaelsheimes und 
- langjähriger Vorsitzender des Kath. Erziehungsvereins e. V. von 1902-1914
- Erbauer des St. Raphaelshauses von 1913/1914
Prälat Franz Schroter Dingelstädt
25.09.1882
06.12.1948  22.03.1907
  Direktor des Raphaelsheimes von 23.03.1914 bis 06.12.1948
Pfarrer Ernst Hildebrand Lengenfeld u. Stein
10.08.1909
05.04.1958 02.12.1934
  - Direktor des Raphaelsheimes von Dez. 1948-1958
- ab März 1935 Vikar im Raphaeleheim
Monsignore Josef Kesting  Beuren
09.04.1927
   21.03.1953
  Direktor des Raphaelsheimes seit 01.05.1958

Verwaltungsleiter: Dipl. Ing. Erhard Monecke ab 01.10.1991

Oberinnen des Schwesternkonventes im Raphaelsheim/Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel

Sr. Ferdinanda Rotering 1913-1921
St. Julitta Funke 1921-1951
Sr. M. Augustine Schulmeister 1951-1958
St. M. Florentine Müller 28.08.1958-26.10.1963
Sr. Nikole Busse 27.10.1963-24.06.1967
Sr. Irmtrud Huppertz 01.09.1967-25.11.1980
Sr. Aurea Schwarz 20.02.1981-06.03.1989
Sr. Hedwig Klein 06.03.1989-05.07.1998
Sr. Maria Gabriele Rascopp 08.07.1998

Träger:

bis 31.12.1949 Kath. Erziehungsverein Heiligenstadt
01.01.1950-31.12.2000 Gesamtverband der katholischen Kirchengemeinden in Heiligenstadt
seit 01.01.2001 Raphaelsheim gGmbH:
Alleingesellschafter Verein Eichsfelder Werkstätten e. V.

Auszug aus dem 
Heiligenstadt-Anzeiger, Jahrgang 14, Nummer 07 
vom 08. April 2004
erstellt: E. Monecke

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