Auf dieser Seite finden Sie einige Sagen und Geschichten über Heiligenstadt und seine Bewohner.
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Wie die Stadt Heiligenstadt zu ihrem Namen kam
Einer der Könige des Frankenreiches war Dagobert, aus dem Geschlecht der Merowinger. Da er vom Aussatz befallen wurde und alle angewandten Mittel keine Heilung brachten, übergab er die Regierung seinem Sohn. Dann zog er, nur von seiner Gemahlin und einigen Bediensteten begleitet, weit ins Land und wollte nicht früher zurückkehren, als bis er von der Krankheit befreit wäre. Lange und weit reiste der König im Land umher, ohne die ersehnte Heilung zu finden. Endlich kam er an einen einsamen Ort, der "Alte Burg" genannt wurde. Dieser gefiel ihm so gut, dass er dort bleiben wollte. Er ließ sich eine Wohnung errichten und eine Kapelle bauen zu Ehren Gottes, der allerseligsten Jungfrau Maria und des hl. Petrus.
Da die Umgebung mit großen Waldungen bestanden war, in denen sich zahlreiches Wild aufhielt, suchte der kranke König Ablenkung von seinem Leid, indem er öfter auf die Jagd ging. Eines Tages kam er dabei an einen wunderschönen, blumenreichen Ort, der mit köstlichem Wohlgeruch erfüllt war. Ermattet von der Jagd ließ er sich im Gras nieder und schlief bald darauf ein. Als er nach längerer Zeit erwachte, waren seine Hand, die vom Tau des Grases feucht geworden war, und auch die Stirn, die er mit ihr berührt hatte, vom Aussatz rein. Voller Freude eilte er zurück zu seiner Gemahlin und berichtete ihr, was geschehen war. Auf ihr Bitten begab er sich noch einmal an den Ort und legte sich mit dem ganzen Körper in das taufrische Gras, worauf er von der Krankheit geheilt wurde. Voll Erstaunen über das, was geschehen war, rief er aus: "Wahrhaftig, entweder ruhen hier Heilige, oder der Ort ist heilig! Ich befehle, dass er in Zukunft Heilige Statt genannt werde."
Der König und die Königin kehrten wieder zu ihrem Sohn zurück. An dem Ort der wunderbaren Heilung aber wurde nachgegraben, und man fand die Gebeine zweier Märtyrer, eines Bischofs Aureus und eines Diakons Justinus. Als der König Dagobert davon hörte, veranlasste er ihre Heiligsprechung und befahl, an diesem Ort eine Kirche zu bauen, die er mit einem Propst und zwölf Stiftsherren besetzte. Diesen wies er zu ihrem Unterhalt viele Liegenschaften und sonstige Güter an. Bald wurde das Werk begonnen und die Kirche und die Gebäude für die Stiftsherren wuchsen schnell empor. Die Kirche und das Stift wurden dem Schutzheiligen des Frankenreiches, dem hl. Martin von Tours, geweiht. Von allen Seiten zog das Volk in die Nähe von Stift und Kirche und baute eine Stadt, die, wie der König befohlen hatte, Heiligenstadt genannt wurde.
Eine Sage, die noch heute gern erzählt wird, berichtet davon, wie die Bürger der Stadt Heiligenstadt zu ihrem Spitznamen "Möhrenkönige" gekommen sind.
Ärger, Zank und Streit hat es immer und überall gegeben - auch in Heiligenstadt, auch wenn sich der Name noch so fromm anhört.
So war es auch einmal, dass die Bürger von Heiligenstadt sich den Groll der eichsfeldischen Ritterschaft zugezogen hatten. Manche Drohungen einzelner Ritter waren den Bürgern zwar zu Ohren gekommen, doch achtete man nicht darauf. Man verließ sich auf die Stärke der Stadtmauern und die eigene bewährte Kampfkraft.
Die Feinde aber wollten endlich mit den wohlhabenden Bürgern abrechnen und hatten zahlreiches Fußvolk und eine große Reiterschar auf die Beine gebracht. Man beschloss, die Stadt zu überfallen. Eines Tages, um die Mittagsstunde, als die Bürger mit ihren Familien am Mittagstisch saßen, zog der Feind auf Schleichwegen heran.
Doch der Wächter auf dem Altstädter Kirchturm hatte ein wachsames und scharfes Auge. Er bemerkte den Feind und gab mit seinem Horn den Alarmruf. Schnell walteten die Torwächter ihres Amtes und schlossen die Tore der Stadt mit den dafür vorgesehenen schweren, eichenen Riegeln. Aber wie es manchmal so geht: der Wächter des einen Tores, welches es gewesen ist, ist nicht überliefert, konnte in der Aufregung den großen Holzriegel nicht finden. Er wusste sich jedoch zu helfen, denn sein Eheweib hatte tags zuvor die Möhren aus dem Feld geholt und in den Keller gebracht. Die dickste aber, ein wahres Prachtexemplar - sie hatte die Länge und Dicke eines Mannesarmes - hatte sie im Tor des Wächterhauses liegen gelassen, um damit bei ihren Nachbarinnen prahlen zu können. Diese nun ergriff der Torwächter und verriegelte damit schnell das seiner Obhut anvertraute Tor. Kaum war das geschehen, rannte der Feind auch schon dagegen an. Aber es wankte nicht, die Möhre tat den von ihr verlangten Dienst und hielt stand. Die tapferen Bürger konnten den Angriff erfolgreich abwehren. Der Feind musste sich zurückziehen. So ging es tagelang fort, und die Belagerer dachten schon daran, wieder abzuziehen.
Weil die Möhre aber allem Drängen standgehalten hatte, ließ der Wächter sie stecken und suchte nicht weiter nach dem verlorengegangenen Riegel. Nun hatte der Wächter des besagten Tores eine stattliche Ziege. Da sie während der Belagerung Mangel an Futter gelitten hatte, zog sie immerfort an dem Strick, mit dem sie angebunden war. Es gelang ihr sich loszureißen, und sie ging durch die offene Stalltür in den Hof. Bald entdeckte sie den Möhrenriegel und lüstern, wie diese Tiere nun einmal sind, stellte sie sich auf die Hinterbeine und stillte ihren Hunger an dem begehrten Bissen. Ihr Appetit war so groß, dass sie nichts von der prächtigen Möhre übrig ließ. Kaum war sie damit fertig, unternahmen die Belagerer einen letzten Sturmangriff auf das Tor. Zu ihrer größten Überraschung war dasselbe nur angelehnt. Sie drangen ein, und trotz heldenmütiger Gegenwehr der überraschten Bürger fiel die Stadt in die Hände des triumphierenden Feindes.
Aber wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Als die Sache mit dem Möhrenriegel bekannt wurde, regte sich bei den Bewohnern der benachbarten Ortschaften die Spottlust, und sie belegten die Heiligenstädter mit dem Spitznamen "Möhrenkönige".
Die Kaltenebersche Klus - Ein blinder Bauer wurde hier sehend
Unweit des Dorfes Kalteneber steht auf einer Anhöhe eine aus Sandstein erbaute Kapelle: die Kaltenebersche Klus. Über den Bau der Kapelle weiß die Sage folgende Begebenheit zu berichten, die sich im 17. Jahrhundert zugetragen haben soll.
Ein erblindeter Bauer schloss sich mit seiner Familie einer Prozession an, die von seinem Dorf aus am Dreifaltigkeitstag zum bekannten Eichsfelder Wallfahrtsort Hülfensberg ging. Schon manches Wunder sollte dort geschehen sein, und so wollte auch der Bauer für seine Genesung beten.
Die Schar der Wallfahrer kam auch zur Höhe bei Kalteneber, wo man eine Rast einlegte und von wo man schon einen Blick auf das Ziel der Wallfahrt hatte, den Hülfensberg. Unter einem Kreuz betete der blinde Bauer um Heilung, als plötzlich die Blindheit von ihm genommen wurde. Voll Freude und Anteilnahme setzte die Pilgerschar ihre Reise fort, um dafür beim Gnadenbild auf dem Hülfensberg zu beten und zu danken.
Auf dem Heimweg kamen die Wallfahrer wieder zur Höhe bei Kalteneber, wo der Bauer versprach, eine Kapelle errichten zu lassen, zum Gedenken an seine wunderbare Heilung.
Während des Siebenjährigen Krieges 1756/63 wurde diese Kapelle jedoch zerstört. Auf den Neubau weist die Jahreszahl 1768 über der Eingangstür hin. Von Kalteneber führt ein Stationsweg hinauf zur Kirche, von wo aus man einen sehr schönen Ausblick ins Südeichsfeld hat.
Die Geschichte des Vierzehn-Nothelfer-Altars
Im Jahre 1632 waren wieder einmal die Schweden in Heiligenstadt.
Da sich aus der Stadt nicht soviel Geld herauspressen ließ, wie erwartet worden war, wollten sie den Stadtschultheißen und Landschreiber Johann von Zwehl als Geisel mitnehmen.
Der Rote Zwehl, wie er genannt wurde, versteckte sich in der Turmhaube der St.-Annen-Kapelle, die bei der Altstädter Kirche steht.
Da die schwedischen Reiter überall, und so auch in der Kapelle suchten, betete er zu den heiligen 14 Nothelfern und flehte sie an, ihn vor den Soldaten zu schützen. Aus Dankbarkeit wollte er nach seiner Errettung den 14 Nothelfern einen Altar stiften.
Tatsächlich fanden ihn die Schweden nicht in seinem Versteck.
Er hielt sein Versprechen und ließ den bekannten Vierzehn-Nothelfer-Altar errichten, der noch heute in der St.-Aegidien-Kirche steht und somit ein besonderes historisches Zeugnis lebendigen Glaubens darstellt.
Wie die "Alte Burg" entstanden ist
Doch nicht nur Riesen soll es in unserer Gegend gegeben haben, sondern auch Zwerge. Noch heute ist ja die Zwergenhöhle bekannt, die oberhalb der Straße nach Uder in den Sandfelsen bei der Alten Burg liegt. Mit den Zwergen, ist das auch so eine Sache. Was sollen sie bei uns zu suchen haben? Nun, ihre Anwesenheit hängt wahrscheinlich mit der Alten Burg zusammen. Auch von dieser sagt man, die Bezeichnung sei nur ein Name, ohne Bedeutung.
Doch mit den Zwergen und der Alten Burg, soll es sich so verhalten haben.
Als einmal ein König, vielleicht war es Dagobert, sich hier niederlassen wollte, brauchte er eine Wohnung. Am liebsten hätte er sich eine Burg bauen lassen. Stein und Sand, gab es an dieser Stelle zur Genüge - jedoch keine Leute, die beim Bau hätten helfen können. Sein Hofgesinde verstand nichts von schwerer Arbeit und außerdem wurden dabei die Hände schmutzig, und das hatten die Leute vom Hofgesinde nicht gern.
Der König war schon traurig darüber, daß er diesen Ort, der es ihm so angetan hatte, wieder verlassen sollte. Eines Tages machte er einen Rundgang, um von der wunderschönen Gegend Abschied zu nehmen, als ihn irgend etwas an seinem Unterrock festhielt. Da er glaubte, sein Kleid habe sich in einer Dornenranke verfangen, griff er, ohne hinzuschauen, nach der Stelle, um sich zu befreien. Wie erstaunt war er aber, als er etwas Warmes, etwas wie eine menschliche Hand zu fassen bekam. Verwundert schaute er an sich hinunter und sah neben sich einen Zwergenkönig stehen. Er war darüber so überrascht, daß er zunächst kein Wort herausbrachte, denn auch Könige können manchmal sprachlos sein. Der Zwergenkönig sagte ihm, er kenne seine Sorgen, und wenn es recht sei, würde er ihm gern helfen. Der König schaute den Kleinen erstaunt an und wußte nicht recht, was er sagen sollte. Doch der Kleine redete weiter und meinte, er würde ihm eine Probe liefern. Am nächsten Morgen sollte der König der Menschen mit seinem Gefolge zur schönsten Stelle des Plateaus kommen, er würde sehen. Dann raschelte es im Gebüsch und der Zwergenkönig war verschwunden.
Ungläubig kehrte der einsame König zu den Seinen zurück, gespannt, was er am nächsten Morgen erleben würde. Als er mit dem Hofstaat zu der bezeichneten Stelle kam, stand dort zur Verwunderung aller eine Kapelle. Zunächst trat der Hofprediger ein und fand alles wie in einem richtigen Gotteshaus.
Nach dieser Probe bestimmte der König, es solle an dieser Stelle eine Burg gebaut werden. Das Hofgesinde raunte etwas von Zauberei, aber man meinte, da zunächst eine Kirche entstanden sei, könne es sich nur um einen guten Zauber handeln. Von seiner Begegnung hatte der König noch nichts verlauten lassen. Im Lauf des Tages unternahm er mehrere Spaziergänge in der Hoffnung, seinen kleinen Freund wieder zu treffen. Doch erst am Abend machte er sich wieder bemerkbar. Der König bedankte sich bei dem Zwerg und fragte, warum er denn als erstes eine Kapelle erbaut habe? Zur Antwort bekam er, es sei bei den Franken doch üblich, als erstes Gebäude einer neuerbauten Pfalz eine Kirche zu errichten. Über diese Antwort, war der König sehr verwundert, denn es stimmte, was der Zwerg gesagt hatte. Dieser redete nun weiter und machte zur Bedingung, daß es eine Woche hindurch niemand, weder dem König noch dem Gefolge erlaubt sein solle, sich bei der Kapelle sehen zu lassen. Der König hatte zwar für diese Anweisung Verständnis, fühlte sich aber nicht ganz wohl bei der Sache, da er nicht wußte, ob das Ganze nicht ein Teufelspuk sei. Daher fragte er den Kleinen, welchen Lohn er denn für seine Hilfe begehre und bekam darauf die Antwort, es gäbe nur eine Bedingung: Den Zwergen sei es erlaubt, in der neuen Burg sich nachts in Küche und Keller nützlich zu machen. Verwundert meinte der König, das sei ein eigenartiger Lohn für so mühevolle Arbeit. Der Zwergenkönig erwiderte, das Zwergenvolk begehre keinen Lohn, es wolle nur Arbeit für seine fleißigen Hände. Allerdings gehöre zu der gestellten Bedingung, daß niemand die Kleinen bei ihrer Arbeit zusehen dürfe. Dies müsse der König versprechen. Werde das Versprechen nicht eingehalten, müßten die Zwerge für immer davonziehen, und alles, was sie geschaffen hätten, würde in nicht all zu langer Zeit wieder vergehen.
Gern ging der König auf die Bedingungen der Zwerge ein und versprach, dafür zu sorgen, daß alle Anweisungen genau befolgt würden.
Erwartungsvoll besuchte nach der angegebenen Zeit der Hofstaat die Kapelle und fand alles so, wie der Zwergenkönig es vorher gesagt hatte; Bei der Kapelle stand eine Burg - nicht riesengroß, denn Zwerge hatten sie ja erbaut - aber mit allem versehen und eingerichtet, was ein Königshof in damaliger Zeit brauchte.
Die Zwerge waren ein fleißiges Völkchen. Wie es ihr König versprochen hatte, versorgten sie Küche und Keller, und alles war gut: die Vorräte gingen nicht aus; wenn es Zeit zur Ernte war, schafften sie herbei, was ausgegangen war - in der Küche fehlte es nicht an Gewürzen, welche die Speisen schmackhaft machten - die Holzvorräte vor den Kaminen wurden immer aufgefüllt, wenn die Zeit des Heizens kam - und alle waren zufrieden, über die vielen Annehmlichkeiten, welche die Zwerge verschafften.
Jahre waren inzwischen vergangen. Die Menschen auf der Burg lebten nicht ewig - wenn sie alt geworden waren, starben sie, und junge Leute füllten Ihre Plätze aus. So wurde eines Tages eine Dienstmagd eingestellt, die sehr neugierig war. Sie erlebte, daß im ganzen Hause alles vorzüglich klappte, daß alles an Ort und Stelle war, was gebraucht wurde, und sie konnte sich nicht erklären, warum das so war. Zwar befragte sie sich bei den anderen Mägden, aber keine sagte ihr etwas von den Zwergen, weil jede befürchtete, daß die fleißigen Helfer vertrieben werden könnten.
Weil ihr niemand etwas sagen wollte, dachte sie an Zauberei. Doch so viel sie auch beobachtete, niemals konnte sie etwas Verdächtiges feststellen. Das war so, weil die Zwerge nur nachts an ihre Arbeit gingen, denn sie wollten ja von niemandem gesehen werden.
Eines Tages tat die neugierig Magd etwas Verbotenes. Es war den Bediensteten nämlich nicht erlaubt, sich weit von dem Schloß zu entfernen, da der König befürchtet, es könnte sonst die Zwergen höhle entdeckt werden und etwas schlimmes geschehen. Die Magd nun hatte sich entfernt und auf ihrem Spaziergang einen Felsenspalt entdeckt, der wie ein Eingang aussah. Sie wollte hinein gehen, doch wurde der Spalt so eng, daß ein weiterkommen nicht möglich war. Jedenfalls war sie aufmerksam geworden und gönnte sich keine Ruhe. Da gar nichts zu erfahren war, versuchte sie mit einer List ihre Neugier zu befriedigen. Eines Tages sprach sie mit einer anderen Magd über irgend etwas Gleichgültiges, und ganz unvermittelt meinte sie, sie habe kürzlich im Wald einen Eingang in den Berg entdeckt... höchst erschrocken rief die andere aus: “Die Zwergenhöhle!”
Die Neugierige tat, als habe sie den Ausruf nicht gehört und redete gleichgültig weiter. Im stillen aber wußte sie, daß sie nun dem Geheimnis auf der Spur war. Es galt jetzt heraus zu finden wie sie den Kleinen einmal bei ihrer Arbeit zuschauen könnte.
Da erinnerte sie sich, von ihrer Großmutter einmal gehört zu haben, daß Zwerge keinen Schnaps trinken dürften - und wenn sie es doch tun würden, könnten sie nicht mehr laufen und müßten fort getragen werden. Auf diese Weise wollte sie die Kleinen überlisten und sie beobachten. Kaum hatte sie ihren Plan gefaßt, ging sie auch schon daran, ihn zu verwirklichen. Abends, als alle Bewohner der Burg schliefen, stellte sie überall in der Küche kleine Schalen auf, die mit starkem Schnaps gefüllt waren. Und wirklich: es geschah, wie sie es erwartet hatte - die Zwerge wollten wissen, was in den Schalen sei, sie steckten die Finger hinein und führten sie an die Zunge. Kaum hatte der Alkohol ihre Zungen berührt, torkelten sie umher, fielen um und blieben liegen. Andere liefen fort, und die Küche war von einem Piepsen erfüllt, als ob lauter Mäuse unterwegs wären. Gerade wollte die Magd laut heraus lachen, denn der Anblick amüsierte sie, als sie ein Geräusch auf der Treppe hörte. Weil sie nicht gesehen werden wollte, versteckte sie sich schnell hinter der Tür. Es kam aber niemand näher, und so trat sie wieder hervor, um das seltene Bild in sich auf zu nehmen. Ganz enttäuscht war sie, als die Küche leer und von den Zwergen nichts mehr zu sehen war. Zwar sagte sie niemandem von ihrem nächtlichen Erlebnis, doch bald spürte man, daß irgend etwas geschehen sein mußte: die Zwerge kamen nicht mehr zur Arbeit, alles, was sie bisher erledigt hatten, blieb liegen.
Zu gern wollte man dem König verheimlichen, daß die sonst so treuen Helfer nicht mehr kamen, aber das ging nicht gut, denn das Holz vor den Kaminen wurde nicht mehr erneuert, das Essen schmeckte nicht mehr, weil die guten Würzkräuter nicht mehr da waren, und die Vorräte in Küche und Keller wurden weniger und weniger. Der König wußte nun, daß auch die Burg, die sein ganzer Stolz gewesen war, zerfallen würde. Er überlegte daher nicht lange, sondern zog mit seinem Gesinde fort zu seinem Sohn, der inzwischen das Reich regiert hatte.
So kommt es, daß von der Königsburg nichts mehr zu sehen ist und nur der Ort, an dem sie gestanden hat, heute noch “Alte Burg” genannt wird.
Ähnlich wie mit der “Alten Burg” verhält es sich auch mit der Zwergenhöhle. Die Zwerge sind verschwunden, aber der Eingang zu ihrer Höhle ist noch zu sehen. Früher sagte man, der Felsspalt sei gar kein Eingang, sondern ein Ausgang. Als die Stadt noch eine Festung war, soll ein unterirdischer Gang vom Rathaus bis hier her geführt haben, damit man bei Belagerungen die Stadt hätte verlassen können. Ob das stimmt, kann niemand sagen, denn Berichte hierüber sind nicht vorhanden. Wohl aber wird von einem Jungen berichtet, der den unterirdischen Bewohnern dieser Felsenhöhle einmal begegnet sein soll. Und das kam so;
Ein Junge aus Uder wurde von seinen Eltern zum Einkaufen in die Stadt geschickt. Er sollte irgendwelche Dinge besorgen, die es in Uder nicht gab. Der Einkauf kostete viel Zeit, und außerdem gab es in der Stadt so viel zu sehen, dass der Junge “Mund und Nase aufsperrte”, wie man so schön sagte. Als er sich auf den Heimweg begab, begann es schon zu dämmern. Er hatte keine Furcht und wanderte los. Die Straße nach Uder führte an der Alten Burg vorüber, und als er in denn dunklen Wald sah und das Rauschen der Bäume hörte, bekam er es doch mit der Angst zu tun. Voller Beklommenheit schlich er sich am jenseitigen Wegrand entlang und schaute nur dann und wann einmal in das Dunkel des Waldes. Plötzlich durchfuhr ihn ein eisiger Schreck, und er blieb wie erstarrt stehen: Oben, von der Höhe her, fiel ein breiter Lichtstreifen durch die Bäume. Der Junge erwartete etwas Furchtbares; vielleicht würde sogar das wilde Heer an ihm vorüber brausen oder etwas ähnliches geschehen. Während er noch immer erwartungsvoll stand und auf den Lichtstreifen starrte, hörte er liebliche Musik vom Berge her klingen. Da erwachte er aus seiner Starre und wurde neugierig, denn nun wollte er sehen, wie es weiter ging - koste es, was es wolle!
Wo so schöne Musik gemacht wird, dachte er, kann eigentlich nichts Böses sein, und mutig geworden, schlich er den Berg hinauf. Im Dunkeln ging das zwar schlecht, aber es ging. Zudem trieb ihn nun die erwachte Neugier voran, dem Lichtschein entgegen. Bald erkannte er, daß der Lichtstreifen aus der geöffneten Tür der Kapelle fiel, die auf dem Berge stand. Gerade als er ankam, wurde die Tür weit aufgetan, und aus der kleinen Kirche kam ein Hochzeitszug. Schnell sprang er hinter eine dicke Buche, um nicht gesehen zu werden. Wie staunte er aber, als in langem Zug lauter Zwerge aus der Kapelle kamen. Er konnte ja nicht wissen, daß die Tochter des Zwergenkönigs in dieser Nacht Hochzeit hatte.
An der Spitze des Zuges gingen die Zwergenkinder; Manche streuten Blumen, andere trugen Lichter, so daß es im Walde beinahe so hell wurde wie am Tage. Hinter den Kindern kam die Musikkapelle, die so schön spielte, wie es der Junge noch nie gehört hatte. Dann folgte das Brautpaar, ganz in Samt und Seide gekleidet und mit einer Krone auf dem Kopf. Hinter dem Brautpaar gingen die Hochzeitsgäste - so viele, daß der Junge sie in der Eile gar nicht zählen konnte. Alle waren wunderschön gekleidet, wie es zu einer Zwergenhochzeit gehört. Auf dem Platz vor der Kapelle bildeten sie einen Kreis. Der König und die Königin stellten sich mit dem Brautpaar hinein, und alle sangen zusammen feierliche Lieder, die einen wunderbaren Klang hatten. Doch der Junge konnte noch so sehr aufpassen, was gesungen wurde, war nicht zu verstehen. Dann begann die Musik wieder zu spielen, und alle zogen am Brautpaar vorüber und gratulierten ihm. Danach stellten sie sich wieder zum Zuge auf, und mit Musik ging es hinunter zur Zwergenhöhle, die ja in halber Höhe des Berges liegt. Der Junge folgte.
Als alle Zwerge in der Höhle waren, schlich er leise hinterher. Er drückte sich dicht an die Felswände und hielt sich ganz im Schatten, und so kam er immer tiefer in den Berg hinein. Endlich hörte der schmale Gang auf, und er schaute in einen großen Saal, der mit Girlanden, Kränzen und Fahnen wunderschön geschmückt war. Von der decke herunter hing ein Kronleuchter mit vielen brennenden Lichtern, die den ganzen Saal erhellten. Die Hochzeitsgesellschaft hatte an langen Tischen Platz genommen, die von einem Ende des Saales, bis zum anderen reichten. In der Mitte, auf dem Ehrenplatz, saßen das Brautpaar und der König mit der Königin. Wieder spielte die Musik, und die Zwerge mit weißen Schürzen liefen umher und bedienten die Gäste mit feinsten Speisen und Getränken. Ein vornehmer Mann, mit langem weißen Bart, erhob sich und hielt eine Rede, und alle Anwesenden klatschten dazu. Das Essen aber ging weiter, und immer feiner aus zusehende Dinge wurden aufgetragen. Der Junge stand noch im Eingang versteckt und sah alles mit an. Da er seit Mittag nichts mehr gegessen hatte, lief ihm das Wasser im Munde zusammen, und zu gern hätte er zugelangt. Doch plötzlich verschluckte er sich und musste laut husten. Nun kann man sich denken, was das für eine Verwirrung in der Hochzeitsgesellschaft anrichtete. Alle sprangen auf, zogen und schoben ihn in das Innere der Höhle und nahmen ihn in ihre Mitte. Dem Jungen wurde ganz bange, und er zitterte am ganzen Leibe.
Der König machte ein böses Gesicht, kam auf ihn zu und fragte, wer er sei und was er wolle? Als der Junge merkte, dass man ihm offensichtlich nichts tun wollte, erzählte er, wie es zu seinem Hier sein gekommen war. Da wurde der König wieder freundlich und sagte, er solle sich an den Tisch setzen und mit ihnen essen. Das ließ der Junge sich nicht zweimal sagen, setzte sich und griff ordentlich zu. Die Zwerge konnten sich nicht genug über seinen gesunden Appetit wunderen und füllten ihm immer wieder den Teller voll. Schließlich aber konnte er nicht mehr. Er wischte sich den Mund ab und meinte, dass er satt wäre. Jetzt verlangten sie von ihm, dass er ihnen etwas erzählen sollte, und da er aus Uder war, sprach er in Uderscher Mundart und erzählte von den Kühen, die er hüten musste, von seinem Hund, der so lustige Sprünge machen konnte und von allem, was es aus seinem Dorf zu berichten gab. Das gefiel den Zwergen, und sie forderten ihn auf, noch ein wenig zu bleiben. Gern folgte er der Aufforderung, zumal es immer wieder so feine Dinge zu essen gab, wie er sie zu Hause noch nie gesehen hatte.
Schließlich aber hatte er genug, und es zog ihn heimwärts. Er ging zum König, bedankte sich bei ihm für alles und wünschte ihm und den Seinen, dass Gott es ihnen lohnen möge. Der König sagte ihm, er sei ein guter Junge, und sie hätten sich gefreut, dass er bei ihnen gewesen sei. Dann gab er ihm einen goldenen Ring und ließ ihn gehen. Ein Zwerg nahm ihn bei der Hand, und führte ihn hinaus ins Freie.
Da stand er nun allein im dunklen Wald, und es kam ihm vor, als ob er alles nur geträumt hatte. Dann überlegte er nicht lange und lief, so schnell er konnte, nach Hause. Aber irgend etwas schien nicht mehr zu stimmen - das Dorf kam ihm ganz anders vor. Inzwischen war der Mond aufgegangen, es war hell geworden, aber sein väterliches Haus konnte er beim besten Willen nicht finden. Das war doch einstöckig - und jetzt stand dort ein zweistöckiges Haus mit einer großen Toreinfahrt und einem Erker an der Seite. Frühmorgens kamen die Leute aus den Häusern, aber der Junge kannte keinen von all denen, die vorüber gingen.
Ganz verschüchtert fragte er ein paar der vorüber gehenden Männer, wo Vater und Mutter hin gezogen seien - aber niemand kannte die Namen, nach denen er fragte. Da man mit dem Jungen nichts anzufangen wusste, brachte man ihn zum Pfarrer. Der schüttelte den Kopf, als er die Geschichte gehört hatte, die ihm der Junge erzählte. Mit einen mal fiel ihm ein, dass er im Kirchenbuch gelesen hatte, vor mehr als hundert Jahren sei ein Junge in die Stadt geschickt worden und nicht wieder gekommen. Er schlug nach und fand, dass es so richtig eingetragen war. Der Pfarrer schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte, dass der Junge ja über hundert Jahre in der Zwergenhöhle gewesen sei. So war es dann auch. So sehr der Pfarrer forschte, es fand sich kein Verwandter mehr, bei dem er den Jungen hätte unterbringen können. Er behielt ihn deshalb in seinem Haus, und wie es heißt, ist später ein tüchtiger Bauer aus ihm geworden. Den goldenen Ring, den er vom Zwergenkönig bekommen hatte, hielt er stets hoch in Ehren. Manchesmal ist er in seinem Leben noch hin zur Zwergenhöhle gegangenen, aber von den Zwergen hat er nie wieder etwas gesehen oder gehört.
Über dem Pferdebachtal bei Heiligenstadt soll in alten Zeiten die Egelsburg gestanden haben. In früheren Jahren gab es in der Stadt kaum einen Jungen, der bis zum Ende seiner Schulzeit nicht einmal nach Überresten dieses sagenhaften Bauwerkes gesucht hat. Doch außer einer Felsspalte hat nie jemand etwas gefunden. Viele romantisch veranlagte Einwohner sind jedoch fest davon überzeugt, daß es hier einmal eine Burg gegeben hat. Vor etwa zweihundert Jahren, seien noch Mauerreste zu sehen gewesen, sagen sie. Außerdem gibt es für sie noch einen anderen Beweis, an den sie fest glauben.
Alle sieben Jahre soll die Egelsburg sichtbar sein, und alle guten Leute, die es verdienen, können ein prächtiges Schloß bewundern, wenn sie eben zu dieser Zeit bei der alten Burgstätte sind. Schöner aber als alle dort angehäuften Schätze soll ein junges Mädchen sein, das stets in der Umgebung des alten Bauwerkes auf und ab geht und erwartungsvoll Ausschau hält.
Sie hofft auf einen unerschrockenen jungen Mann, der sie von einem alten Fluch erlösen soll. Da zu der bestimmten Zeit nie jemand in der Nähe ist, kehrt sie alle sieben Jahre wieder und wartet. Allerdings hat es mit dem jungen Mädchen, das so vergeblich ins Tal hinunter blickt, noch eine besondere Bewandtnis. Jedes Mal, wenn die Jungfrau umgeht, wächst in der Gegend des Mittelberges, zu dem das Gebiet der Egelsburg gehört, und im Pferdebachtal eine seltsame, wunderschöne Blume. Wer das Glück hat, die Blume zu finden und zu pflücken, kann das Schloß mit seiner einsamen Einwohnerin sehen und mitsamt den unermeßlichen Schätzen erwerben. Es muß demnach schon ein vom Glück sehr bevorzugter Mann sein, der einmal die Einsame heim führen wird. Wer nun meint, daß es so viel Glück nicht geben könnte, irrt sich.
Es muß schon einige hundert Jahre her sein, da weidete im Pferdebachtal ein junger Schäfer seine Herde und sammelte nebenbei allerlei Blumen und Kräuter. Ohne daß er es wußte, hatte er auch die Wunderblume mit gepflückt, und plötzlich, er traute seinen Augen nicht, stand er vor dem prachtvollen Schloß und sah auf einen Balkon, in einem langen weißen Gewand, das schöne Mädchen stehen, das ihm freundlich zu winkte. Der Schäfer hatte seine Herde schon oft hier geweidet und war sehr erstaunt über den ungewohnten Anblick. Wie er nun die weiße Gestalt auf dem Balkon sah, fiel ihm die Sage ein von dem Burgfräulein, das auf seine Erlösung wartet. Doch auch an die sagenhaften Schätze dachte er, die im Schloß vorhanden sein sollten, und er ging mutig und mit festen Schritten auf das Eingangstor zu. Während er näher kam, sah er, das im Schloß der Tür ein Schlüssel steckte. Noch einmal schaute er nach oben. Dort sah er das schöne Mädchen. Es beugte sich über die Brüstung und rief ihm zu, daß er eintreten und die Tür von innen wieder verschließen solle. Der Schäfer führte die Anweisung aus und stand bald in dem Gebäude, das hell erleuchtet war. Überall glitzerte es von kostbaren Metallen und Steinen. Der arme Kerl wußte gar nicht, wohin er schauen sollte. Er öffnete die nächst gelegene Tür und kam in eine wundervollen Saal, in dem alle Schätze der Welt aufgehäuft zu sein schienen. Da stand er nun und wußte nicht, wohin er schauen und was er tun sollte. Nachdem sich seine erste Überraschung gelegt hatte, besann er sich nicht lange, sondern füllte zunächst alle seine Taschen mit den Kostbarkeiten. Dann nahm er den Sack zu Hilfe, in welchem er gewöhnlich seine Verpflegung mit sich trug, schließlich stopfte er auch noch seinen Hut voll. Kaum konnte er schleppen, was er sich aufgeladen hatte. Gebeugt unter seiner wertvollen Last, trat er den Rückweg an.
Nach wenigen Schritten hörte er die Stimme des schönen Mädchens; “ Vergiß das Beste nicht!”
Doch er hatte nur Augen für die kostbaren Schätze und meinte, das Wertvollste noch nicht gefunden zu haben. Seine suchenden Blicke fanden nichts, wofür er etwas anderes wieder ausgepackt hätte. Ein paar Ringe steckte er sich noch auf den Arm und schleppte sich weiter, der Tür zu.
Und wieder hörte er die bittende Stimme; “ Vergiß das Beste nicht!”
Jetzt störte ihn der Zuruf nicht mehr. Blitzschnell schoß es ihm durch den Kopf, daß er so schnell wie möglich hinaus gehen und mit allen Säcken und Tüchern, die er in der Eile auftreiben könne, wieder kommen müsse, wenn er noch mehr von den schönen Dingen erwerben wolle.
Da erhob sich, ganz leise erst, dann immer lauter und dröhnender, ein Donner und Tosen und erfüllte die Luft, und mit mächtigen Krach schlug die Tür hinter ihm zu. Das geschah mit solcher Plötzlichkeit, daß er seinen Fuß nicht schnell genug nachziehen konnte, und so wurde seine Verse zerschmettert, und er stürzte auf den steinigen Boden.
Als der Schäfer aus seiner Ohnmacht erwachte, war die ganze Pracht, die er gesehen hatte, verschwunden, sein Fuß war zwischen Steinen eingeklemmt, und seine Taschen und Brotsack waren mit wertlosen Kieseln gefüllt.
Hätte der junge Schäfer auf die Mahnung des Schloßfräuleins, das Beste nicht zu vergessen gehört, hätte er die Tür verschlossen wie ihm gesagt wurde, und den Schlüssel zu sich gesteckt, dann hätte er den Fluch gelöst, unvorstellbare Schätze erworben und das schöne Mädchen dazu. So aber wartet dieses noch immer auf den Glücklichen, der es einmal erlösen wird.